Gaming Nation:
Interview mit Nolan D Bushnell, Erfinder von Pong und Atari-Gründer

Tilman Baumgärtel

"Stellen Sie sich vor, man könnte bei "Doom" Mannschaften bilden!"

Zwei leuchtende Striche spielen sich auf dem Monitor ein Klötzchen zu - das ist alles. Doch es genügte, um eine kleine Revolution auszulösen. Das kleine Klötzchen war der Ball, die leuchtende Striche die Schläger, die man mit Joysticks bewegen konnte, und das ganze hieß "Pong" und war das erste Computerspiel, das die breiten Massen erreichte und dazu beigetragen hat, den Computer als Haushaltsgegenstand durchzusetzten. Tilman Baumgärtel sprach für SYNWORLD mit Noland Bushnell, dem Erfinder von "Pong", Vater aller Videospiele.

SYNWORLD: Als Erfinder von "Pong" und Gründer von "Atari" gelten Sie als der Vater der modernen Videospiele. Dabei gab es bereits in den 60er Jahren ein Computergame, das allerdings für Universitäts-Mainframes programmiert worden war. Dieses Spiel hieß "Space War". Kannten Sie dieses Spiel, und hat es Sie inspiriert?

Nolan Bushnell: Ja. Ich war vollkommen fasziniert davon. Sowas Tolles hatte ich noch nie gesehen. Ich wußte sofort, daß das wichtig werden würde. Ich weiß noch, daß wir es 1969 in der Uni auf einen Mainframerechner heruntergeladen haben und damals wirklich die ganze Nacht durch gespielt haben. Wir fingen abends um acht an, und hörten erst morgens um acht wieder auf. Und der einzige Grund, warum wir überhaupt wieder aufhörten, war, daß morgens die ganzen Informatiker an die Rechner mußten. Wir Studenten hatten nur dann Zugang zu den Computern, wenn sonst niemand dran wollte. Darum haben die Hacker seit den 60er Jahren dieses Image als Nachteulen, weil sie nur dann an die Computer konnten, wenn alle anderen schliefen.

SYNWORLD: Warum ist niemand auf die Idee gekommen, aus "Space War" eine kommerzielle Anwendung zu machen und es auf dem Massenmarkt zu verkaufen?

Nolan Bushnell: "Space War" konnte nur auf einem Computer gespielt werden, der damals etwa 7 Millionen Dollar kostete. Ich hatte auf einem Jahrmarkt gearbeitet, und wußte, wieviel Geld mit Slotmachines zu verdienen war. Damit war so eine Investition nicht zu finanzieren. 1971 entdeckte ich eine Anzeige für einen der ersten Microcomputer, der 3000 Dollar kosten sollte. "Das ist es!", dachte ich. Eine Investition in der Höhe kann man auch mit einer Maschine reinbekommen, in die die Leute nur ein paar Quarter stecken. Wir bestellten einen Computer, und begannen damit zu experimentieren. Bald stellte sich heraus, daß dieser Computer für Spielanwendungen zu langsam war. Schließlich bauten wir unsere eigene Maschine.

Daraus entwickelte sich unser erstes Spiel, das eigentlich noch kein Computerspiel im engeren Sinne war. Es bestand aus Transistoren, den Bauplan hatten wir selbst entworfen, aber es hieß trotzdem "Computerspace". Mikroprozessoren gab es damals noch nicht, und erst eine viel spätere Version von "Pong" lief auf einem Chip. "Computerspace" verkaufte sich nicht schlecht, aber es war auch kein Riesenerfolg. Alle meine Freunde liebten es, aber die meisten meiner Freunde waren Ingenieure! "Computerspace" war einfach noch zu kompliziert für ein größeres Publikum, das bisher nur Flipper kannte. Als wir ein zweites Spiel entwickelten, haben wir uns überlegt, wie man das Ganze so einfach wie möglich machen könnte.

Wir haben uns entschieden, ein Spiel zu nehmen, dessen Regeln jeder kennt. Fußball und Baseball waren zu schwierig zu programmieren, aber dann fiel uns Pingpong ein. Das versteht jeder, und es war auch nicht kompliziert zu programmieren. So entstand "Pong". Wir haben es im Schlafzimmer meiner Tochter entwickelt, die mußte in der Zwischenzeit ins Zimmer von ihrer Schwester. Wir haben eine Testversion in einer Kneipe aufgestellt, die sofort kaputt war, weil die Münzdose in dem Apparat übergelaufen war. Da wußte ich, daß wir einen sicheren Erfolg gelandet hatten.

Vom ersten "Pong", das noch ein Münzenspiel war, haben wir 35.000 Stück verkauft. In England mußten wir den Namen ändern, weil "Pong" im britischen Slang ein Wort für einen üblen Gestank ist. Unser englischer Vertreter sagte mir: "Was sollen die Leute denken, wenn sie in eine Kneipe kommen, und in der Ecke steht ein Spiel, daß Pfurz heißt?" Darum hieß "Pong" in Großbritannien "Ping". "Pingpong" war als Markenname schon vergeben.

SYNWORLD: Welche Bedeutung hatte die Entwicklung von Microchips für die Computerspiele?

Nolan Bushnell: Ab Mitte der 70er Jahre waren Mikrochips billig genug, um sie in ein Spiel einzubauen. Wir waren die ersten, die diese Chips für nicht- militärische Zwecke benutzten. Ich bin heute fest überzeugt, daß wir es waren, die dazu beigetragen haben, daß der Mikrochip zu einem Massenartikel wurde. Durch unsere Großbestellungen mußten die Hersteller anfangen, Chips im großen Maßstab herzustellen. Dadurch entwickelten sie die nötige Routine und Qualitätssicherungsmethoden, die es später möglich machten, Chips in riesigen Quantitäten für den Einsatz in Personal Computers herzustellen.

SYNWORLD: Also würden Sie sagen, daß "Pong" eine kulturelle Bedeutung hat, die über das eigentliche Spiel hinaus geht?

Nolan Bushnell: Man muß den Leuten die Möglichkeiten zeigen, die ihnen Computer eröffnen. Computerspiele haben mehr für die Verbreitung von Computern getan, als jede andere Anwendung inklusive Rechnen, Textverarbeitung, Spreadsheets, Grafikprogramme. Nichts davon war so wichtig wie die Computerspiele. Als "Pong" herauskam, haben uns die Leute gefragt: "Wie kommen die Signale denn zu der Fernsehsehstation?" Die dachten, daß die Bilder über einen Fernsehsender gehen mußten, damit sie auf ihrer Mattscheibe erscheinen konnten. Die Vorstellung, daß man einen Computer an seinen Fernseher anschließen und dessen Bilder manipulieren konnte, war ziemlich revolutionär.

SYNWORLD: Mit dem Geld, das Sie mit "Pong" verdient haben, haben Sie Atari gegründet. Können Sie darüber etwas erzählen?

Nolan Bushnell: Die ersten Geschäftsräume, die Atari hatte, waren 100 Quadratmeter groß. Es gab eine Rezeption, mein Büro, noch ein Büro und eine Produktionsfläche. Die Einzelteile kamen von anderen Firmen, aber wir haben sie zusammengesteckt, geprüft und ausgeliefert. Wir haben mit drei Angestellten angefangen, dann wurden es vier, dann sieben, dann zehn, bis es in dem Raum einfach zu eng wurde. Bei uns war es immer unglaublich laut, weil wir den ganzen Tag Rockmusik hörten. Das war die Hippie-Zeit, und die meisten Angestellten waren junge Leute mit langen Haaren. Später wurde behauptet, daß einige bei der Arbeit auch Gras geraucht haben, aber davon weiß ich nichts. Jedenfalls haben wir so viel Krach gemacht, daß die Firma nebenan auszog. Wir haben ein Loch in die Wand gehauen, und hatten 200 Quadratmeter Arbeitsfläche. Irgendwann wurde auch das zu klein, und wir mußten uns einen neuen Raum suchen. Weil wir nicht viel Geld hatten, brauchten wir etwas Billiges.

Schließlich habe ich eine alte, leerstehende Rollerskating-Bahn entdeckt, in die wir eingezogen sind. In dieser Rollerskating-Bahn sind die meisten unserer Spiele entstanden.

Es war damals sehr schwer, Geldgeber zu finden. Die meisten Bankleute dachten, daß Games Kinderkram seien und man mit ihnen kein Geld verdienen könnte. Die haben Geschäfte mit Stahl verstanden, mit Eisenbahnen, Autos oder Maschinenteilen, aber nicht mit Computerspielen. Deswegen haben wir überhaupt kein Geld von den Banken bekommen, bis wir 40 Millionen Dollar umgesetzt hatten.

SYNWORLD: Was bedeutet der Name Atari eigentlich?

Nolan Bushnell: Wir waren alle begeisterte Go-Player, und beim Go bedeutet Atari "Schach".

SYNWORLD: Wie würden Sie die Kultur der Gamer und der Game-Programmierer beschreiben?

Nolan Bushnell: In den USA haben Wissenschaftler herausgefunden, daß der durchschnittliche IQ hochgeht. Leute, die sich besonderen geistigen Herausforderungen aussetzten, trainieren ihr Gehirn. Ich glaube, daß Leute, die schwierige Computerspiele spielen, dadurch intelligenter werden, weil es eine Gehirnübung ist. Ich habe nie Computerprogrammierer eingestellt, die nicht gerne Games spielen. Es gibt vielleicht gute Gamer, die schlechte Programmierer sind, aber keine guten Programmierer, die nicht auch gute Gamer sind.

SYNWORLD: Inzwischen werden alte Computerspiele neu veröffentlicht. Sehen Sie einen Unterschied zwischen den alten Games aus den 70er und 80er Jahren und denen von heute?

Nolan Bushnell: Mit den Computerspielen ist es wie beim Autofahren: 90 Prozent meiner Aufmerksamkeit ist nach vorne gerichtet, 10 Prozent nach hinten. Mein nächstes Projekt ist immer interessanter als mein letztes. Das war schon bei Atari so. Wenn ein Spiel erstmal auf dem Markt war, hatte ich für gewöhnlich das Interesse an ihm verloren. Aber die alten Spiele machen oft einfach mehr Spaß. Anfang der 80er Jahre konnte man einen schlechten Plot nicht durch gute Graphiken übertünchen. Heute kann man ein mittelmäßiges Spiel mit guter Graphik so ausstatten, daß die Leute sagen: "Hey, das ist cool." Die alten Spiele hatten einfach klare, gute Regeln. Für viele Neueinsteiger sind die neuen Spiele einfach zu komplex. Die wollen Spiele, die einfach zu verstehen sind, und deswegen halten sie sich an die Spielklassiker.

SYNWORLD: Die Spiele, die Sie früher bei Atari gemacht haben, liefen alle auf stationären Rechner. Heute ist die Vernetzung von Rechnern über das Internet das große Thema...

Nolan Bushnell: Das Internet ist das Wichtigste, was in den letzten hundert Jahren passiert ist. Ich hatte früher eine Riesen-Bibliothek. Die habe ich jetzt verkauft, weil ich weiß, daß ich alle Informationen, die ich brauche, schneller und aktueller im Internet finden kann.

Ich arbeite zur Zeit an einem Projekt, bei dem Hunderte von Gamern online gegen andere spielen können. Stellen Sie sich vor, man könnte bei "Doom" Mannschaften bilden! Technische Komplexität ist nicht halb so interessant wie soziale Komplexität. Da könnte es Spionage, Intrigen, Infiltritation geben. Das würde ein Spiel viel interessanter machen.

SYNWORLD: Jetzt haben Sie die Professional Gamer League (PGL) gegründet. Was ist das?

Nolan Bushnell: Wir wollen im Fernsehen Computerspiel-Meisterschaften übertragen, bei denen die besten Gamer in den USA gegeneinander antreten. Die Leute schauen sich professionelle Fußball oder Baseball- Spiele an. Warum soll das nicht auch mit Computerspielen gehen? Wenn es erstmal im Fernsehen ist, gibt es auch Sponsoren. Wenn es Sponsoren gibt, dann gibt es auch Honorare im Millionenbereich. Wenn es solche Honorare gibt, gibt es viele Möchtegern-Profis. Und solche Möchtegern- Profis sind natürlich hervorragende Kunden!

Siehe auch: Guns, Games, and Glory: The Birth of Home Video Games by Sam Hart